A.R. Penck, Primitiver Computer, 1968, Öl auf Karton, 60 x 94,5 cm, Ausstellungsansicht: Museo d’arte Mendrisio, 2021

Von der Höhle zum Computer. Eine A.R. Penck Retrospektive im Tessin

20. Dezember 2021
Emma Nilsson

Für viele unerwartet, findet derzeit im Museo d’arte Mendrisio im Tessin eine detailreiche Retrospektive von A.R. Penck statt. Das Museum selber besticht durch seine Atmosphäre des historischen Klostergebäudes. Die relativ kleinen Räume kommen besonders zur Geltung, wenn sie die intime und oft raue Seite in Pencks Werken unterstreichen, um dann wiederum von der Eindringlichkeit und Wucht vor allem seiner Gemälde geradezu gesprengt zu werden.

So werden Künstlerbücher, ein Super-8-Film, Zeichnungen, Gemälde, Filz-, Terrakotta-, Papp- und Bronzeskulpturen gleichberechtigt nebeneinander gezeigt und eröffnen einen vielseitigen Blick in die verschiedenen Richtungen, die Penck einschlägt. Allen voran und sicherlich am bekanntesten ist sein Motiv des ‘Standarts’, das sich seit den 1970er-Jahren durch sein Oeuvre zieht. Wortschöpferisch zwischen ‘Standard’ und ‘Standarte’ pendelnd, soll der Standart in Pencks Verständnis durch seine einfache Form selbsterklärend sein und seine Zeichenhaftigkeit das gegenseitige Verstehen jenseits von Sprache erwirken. Der Standart repräsentiert die Möglichkeit einer internationalen, wenn nicht universalen Kommunikation. Er vereint in einem Ideogramm sowohl Bild, Text und Symbol und er kann, so Penck, unendlich imitiert und reproduziert werden, dadurch jedem gehören und letztlich auch die Demokratisierung der Kunst verwirklichen.
Bildnerisch betrachtet wird der Standart meist als eine Art Strichmännchen dargestellt und verweist dabei ganz offenbar auf die Höhlenmalerei, in der für Penck diese umspannende Kommunikation des Menschen zuletzt gegeben war.

Das Motiv des Standarts eröffnet aber auch eine andere Richtung in Pencks Werk. Pencks Hingezogenheit zur Wissenschaft und seine Auseinandersetzung mit eben jener Zeichenhaftigkeit entfalten sich in seiner Beschäftigung mit Netzwerken der Kommunikation und mit der Kybernetik. Die Computersprache entwickelt sich spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts rasant zu einer tatsächlich universalen Sprache. Und so findet sich in der Ausstellung exemplarisch das Gemälde ‘Primitiver Computer’ (1968), in dem ein Computeralphabet mit 45 Zeichen zu sehen ist. Seine einzelnen Zeichen des Alphabets könnten grundsätzlicher nicht sein.

Höhlenmalerei und codierte Computersprache hängen also quasi nebeneinander. Sie vereint bildnerisch die markante Einfachheit und sie vereint inhaltlich das Erforschen einer Ursprünglichkeit und Verbindung.

Eine etwas andere Perspektive auf jene Ursprünglichkeit ermöglichen verschiedene Künstlerbücher, die in Vitrinen aber auch als Slideshows gezeigt werden. Wie häufig in Künstlerbüchern wirken sie wie diejenigen Werke, in denen sich die Gedanken erst noch formieren, Verweise eröffnet und die jeweiligen Motive gefunden werden.

Die Ausstellung präsentiert die wichtigen Phasen in Pencks Schaffen, seine unterschiedlichen Motive, nicht zuletzt eine Auswahl aus seinem Bestiarium und seinen Portraits, sowie gänzlich abstrakte, vollkommen aufgelöste Serien auf Papier. Man erhält einen Eindruck von seinem verschiedenartigen Umgang mit Farbe, man stösst auch auf einige seiner diversen Namen oder vielmehr Bezeichnungen – er signierte unter anderem mit ‘Mike Hammer’, ‘T.M.’, ‘Y’ –  und eines zeigt die Ausstellung immer wieder: Pencks unaufhörliches Bestreben, neue Ebenen innerhalb seiner Themen auszuloten und neue Schlüsse zu ziehen.

 

Die Ausstellung ist kuratiert von Simoni Soldini, Ulf Jensen und Barbara Paltenghi Malacrida.

Bis 13. Februar 2022.

Weitere Informationen zur Ausstellung gibt es hier: Museo d’arte Mendrisio