Gerhard Richter – Abstraktes Bild, 724-4

1. März 2016
Carina Krause

Gerhard Richter, Maler – so lautet der Titel einer sehr lesenswerten Biografie des Künstlers von Dietmar Elger, die seinen Werdegang von den Anfängen in Dresden bis zu seinen heutigen Erfolgen beleuchtet. Heute erzielen Richters Arbeiten immer wieder Höchstpreise auf Auktionen, seine Ausstellungen sorgen für Besucherrekorde und sein Name taucht regelmäßig in den Bestenlisten der Kunstmagazine weltweit auf. Diesen Ruf verdankt er seiner Fähigkeit, sich als Künstler immer wieder neu zu erfinden. Er ist eben nicht nur Maler.

Schon früh beginnt er, auch in anderen Medien zu arbeiten: Druck, Fotografie oder vereinzelt auch Skulptur. Dabei sind die Bildmotive nicht immer neu erdacht. Richter kehrt des Öfteren zu Gemälden zurück und interpretiert diese in anderen Medien neu. Beispiele hierfür sind die 48 Portraits (324/1-48, Butin 94) oder Ravine (837-1, Butin 90). Meist erstellt er Drucke der Arbeiten, die er oft zusätzlich übermalt oder anderweitig bearbeitet. Manchmal ist die Beschäftigung mit einem Bild eingehender und zieht sich über Jahre hinweg. Wohl kaum einem seiner Gemälde hat er so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie Abstraktes Bild (724-4) aus dem Jahr 1990. Dieses relativ kleine abstrakte Werk bildet die Grundlage nicht nur einer, sondern zahlreicher Arbeiten.

2008 entstehen erste Editionen, die Abstraktes Bild (724-4) zum Thema haben. Es sind unscharfe Fotografien des Gemäldes – Sieben Zwei Vier (Butin 133a) und Seven Two Four (Butin 133b). Obwohl auf den ersten Blick nicht sofort ersichtlich, stehen sie in enger Beziehung zu seinen figurativen Werken. Zum einen erinnern sie an die Unschärfe, die der Künstler in vielen seiner figurativen Arbeiten durch Verwischung der noch feuchte Ölfarbe erzielt. Zum anderen wird hier ein Gemälde zur Vorlage einer Fotografie – eine Umkehrung seiner Herangehensweise an die sogenannten Fotobilder, denen fotografische Abbildungen, privat und aus Zeitschriften entnommen, zugrunde liegen. Noch deutlicher wird diese Reversion in Editionen wie z.B. Kerze (Butin 64, 66 und 67) oder Betty (Butin 75). Dort dient eine Fotografie als Vorlage für ein Gemälde das wiederum zur Vorlage einer Fotografie wird.

Schon ein Jahr später, 2009, befasst sich Richter abermals mit Abstraktes Bild (724-4). Er experimentiert mit Spiegelungen von Ausschnitten des Gemäldes, was zu den großformatigen Wandteppichen Musa, Yusuf, Iblan und Abdul (Butin 141-144) führt.

Das Künstlerbuch Gerhard Richter: Patterns (2011) dokumentiert die Fragmentierung von Abstraktes Bild (724-4) von einfachen Spielgelungen hin zu komplizierter anmutenden Mustern, die letztendlich zu eleganten Streifen führen.

Das ist der Beginn einer bis heute andauernden Serie von Strip-Arbeiten (beginnend mit 919). Abstraktes Bild (724-4) wurde am Computer in 4096 vertikale Segmente zerlegt, die dann so oft gespiegelt wurden, dass sich daraus horizontale Streifen ergaben. Dabei weist jede der Arbeiten eine andere Farbigkeit auf, da sie auf einem jeweils anderen Ausschnitt beruht.

Von Öl auf Leinwand zu Fotografien und über Wandteppiche schließlich zu Digitaldrucken – Abstraktes Bild (724-4) hat eine spannende Geschichte hinter sich und vielleicht wird es uns in einem neuen, unerwarteten Medium erneut begegnen.