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Tizian/Gerhard Richter im Palazzo Te, Mantua

7. Dezember 2018
Carina Krause

“Warum hängen neben diesen Meisterwerken Tizians noch andere Gemälde?” fragt ein Besucher laut. “Ist diese Arbeit von Tizian allein nicht gut genug? Ist dieser andere Künstler nicht etwas zu selbstsicher, seine Arbeiten neben diesem Meisterwerk zu präsentieren?”
“Dieser andere Künstler heißt Gerhard Richter”, erklärt ein Museumswärter. “Und er ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler der Welt. Diese Ausstellung zeigt die Interaktion Richters mit Tizian und die Inspiration, die er ihm verdankt.”

Dieses Gespräch fand in der prestigeträchtigen Ausstellung Tizian/Gerhard Richter – Il Cielo sulla Terra (Der Himmel auf Erden) im Palazzo Te in Mantua statt, wo dem Thema der Verkündigung und der Beziehung der beiden Künstler derzeit fünf Räume gewidmet sind. Der Ton wird von Tizians Verkündigung aus der Scuola Grande di San Rocco (ca. 1539 ) angegeben. Für viele der Besucher, die von der Verbindung der beiden Künstler überrascht sein mögen, ist es eventuell das erste Mal, dass sie Arbeiten Richters im Original sehen.

Die Geschichte, die diese Ausstellung zu erzählen versucht, beginnt 1972, dem Jahr, in dem Richter zum ersten Mal an der Biennale in Venedig teilnahm. Während eines Besuchs der Scuola Grande di San Rocco erschloss sich ihm die Qualität Tizians, “die Kunstwerke zu Kunstwerken macht”[1] und beschloss, das Bild der Verkündigung zu kopieren. Seitdem ist der Dialog mit dem Alten Meister aus Cadore ein ständiges Thema in Richters Werk geblieben.

Die Ausstellung ist bis ins kleinste Detail kuratiert, beginnend mit zwei Meisterwerken Tizians: der Verkündigung aus San Rocco und einer weiteren aus Il Raffronto (ca. 1558-1559), die sich heute im Nationalmuseum von Capodimonte befindet.

Richter arbeitete intensiv an der Entstehung dieser Ausstellung mit und steuerte 17 Werke direkt aus seinem Atelier bei. Der Architekt Piero Lissoni kümmerte sich um die Installation und das Grafikdesign, um diese Zusammenarbeit perfekt in Szene zu setzen.

Wenn wir uns das Verkündigungsbild aus Il Raffronto genauer ansehen, sehen wir, wie der große Renaissancekünstler eine Szene des Christentums, die “Conceptio per aurem” (durch das Ohr der Jungfrau) mit einer Explosion von Farben umsetzt.
Tizian befand sich, als er das Bild malte, in einer späteren Phase seiner Karriere. Er wollte nicht mehr mit traditioneller Perspektive arbeiten, wie sie damals von vielen anderen Künstlern angewandt wurde, sondern die Geschichten allein durch seine Art der Malerei und den Einsatz von Farbe ausdrücken. Die Leinwand ist mit Himmel, Wolken und dem Licht des Heiligen Geistes gefüllt, die die beiden Protagonisten, den Engel Gabriel und die Jungfrau Maria, beleuchten.

“Wie mutig von diesem Richter, sich mit dem Alten Meister zu vergleichen”, bemerkt ein Besucher, als er in den nächsten Raum geht. “Er vergleicht sich nicht mit ihm”, antwortet sein Begleiter, “Er wird seit Jahrzehnten von ihm inspiriert, und das hier ist die Geschichte dieser Inspiration.”

Richters Ziel war es nicht, die Maltechniken Tizians zu kopieren, stattdessen konzentrierte er sich auf das ursprüngliche Motiv. Die Elemente der Darstellung blieben identisch. Zum Beispiel ist Rot eine der Farben, die Tizian am häufigsten verwendet. Richter würdigt Tizians Gebrauch dieser Farbe, die bereits in der Antike kostbar war und auch heute noch eine Modefarbe ist, da sie das Feminine betont. Richters Werke erkunden und verbinden nicht nur thematisch (die Verkündigung und die Beziehung zwischen Himmel und Erde), sondern auch durch den Einsatz von Farbe.

Eine weitere Verbindung gibt es durch den Fokus auf das Weibliche. So stellt Richter in den Bildern seiner Töchter Betty (1977/2013) und Ella (2014) sowie seiner Frau Sabine (in Kleine Badende, 1996) die weibliche Präsenz in seinem Leben dar.
Im letzten Raum, der ganz der Verwendung der Farbe Rot durch Tizian gewidmet ist, schließt er die Geschichte mit Spiegel, blutrot (1991) ab. Richter präsentiert hier einen roten Spiegel in dem Farbton, den Tizian unter anderem beim Kleid der Jungfrau verwendet hat.

“Also dieser Richter war sehr mutig! Und wie vielfältig sein Werk ist!”, sagt ein anderer Zuschauer zu seinem Begleiter, als beide gerade Richters abstrakte Arbeiten mit dem Spiegel, blutrot vergleichen.

Und ja, in dieser Ausstellung, in dieser Hommage an die beiden Künstler, die, obwohl zeitlich so weit voneinander entfernt, doch so wichtig sind, ist es Richter gelungen, dem italienischen und internationalen Publikum zu zeigen, dass er ein großer Meister unserer Zeit ist. Diese Chance, auf seine eigene Weise in einen Dialog mit Tizian, in Bezug auf Thema, Farbe und Weiblichkeit, zu treten, lässt ihn verletzlich und bescheiden erscheinen.

Richter hat die Fähigkeit, nicht nur mit dem Besucher, der sein Werk und seine Geschichte kennt, sondern auch mit dem Besucher, der seine Arbeiten zum ersten Mal sieht, in einen Austausch zu treten. Sowohl die einen als auch die anderen sind emotional berührt von seiner Hommage an Tizian, einem Treffen zweier Künstler, die beide Symbole ihres historischen und kulturellen Moments sind und beide die erstaunliche Fähigkeit haben, den Himmel auf Erden zu vermitteln.

Kunst – oder zumindest große Kunst – ist immer zeitgemäß.

Tizian/Gerhard Richter. Der Himmel auf Erden, kuratiert von Helmut Friedel, Marsel Grosso und Giovanni Iovane, wird bis zum 6. Januar 2019 im Palazzo Te, Mantua zu sehen sein. Mehr Informationen hier.

 

[1] Interview mit Gislind Nabakowski, 1974 in Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008, S. 85.

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