Sigmar Polke. Höhere Wesen befehlen – im Museum Morsbroich
5. Dezember 2023Die höheren Wesen befehlen, mit Schuhen in einem Wasserbad zu stehen und sich von schwimmenden Gurken umkreisen zu lassen. Sich mit einem Blasebalg für Kameralinsen zwischen den Lippen unter ein schwingendes Pendel zu legen und den Blasebalg, sinnlich aufgeladen, das Pendel umzingeln zu lassen. Sich manisch am ganzen Körper zu kratzen. Sich mit langen, weißen Streifen am ganzen Körper entlang mit dem darum liegenden Raum zu verbinden und sich irgendwo zwischen da Vincis Vitruvianischem Menschen und Spiderman zu inszenieren. Was lässt sich aus all diesen und vielen weiteren Befehlen schließen? Natürlich: Der ganze Körper fühlt sich leicht an und möchte fliegen.
Das ist der Titel eines 16mm Films von 1969 – ein gemeinsames Werk von Sigmar Polke und Christof Kohlhöfer – der zugleich zentrales Werk dieser Ausstellung ist. Es ist ein besonderer Anlass, dass dieser Film nach über 50 Jahren wieder gezeigt wird, da er von den beiden Künstlern für eine Ausstellung eben im Museum Morsbroich kreiert wurde. Konrad Fischer hatte 1969 zu einer Ausstellung über Konzeptkunst, Konzeption/Conception, eingeladen und nach der Premiere des Films am Abend der Eröffnung fiel, so Kohlhöfer, das Publikum in Schweigen. Nicht verwunderlich, denn Der ganze Körper fühlt sich leicht an und möchte fliegen ist quasi das Gegenteil von Konzeptkunst und lädt eher ein, in die Welt der absurden, improvisierten und stets humorvollen Ideen einzutauchen als sich mit meist streng konzipierter, “ernsthafter” Kunst zu beschäftigen.
Der Film ist nur eine von mehreren Kollaborationen von Kohlhöfer und Polke. Deren gemeinsame Edition …Höhere Wesen befehlen (1968) ist titelgebend für die Ausstellung und in ihr diktieren die Wesen alle möglichen Arten, eine Palme darzustellen. In diesem Fall bedeutet das, das mit viel Symbolik aufgeladene Motiv der Palme mit Zollstöcken, Handschuh, Brot, Knöpfen usw. darzustellen. Auch Polke selber wird zur Palme. Eine Polke-Peitsche oder auch Polke als eine Art Spiderman in Streifen sind Motive, die im späteren 16mm Film wiederzufinden sind. Polke verwendet gerne Motive in verschiedenen Varianten in seinen Werken, so erscheinen zum Beispiel eine Gurke auf zwei Kugeln sowohl im erwähnten Film wie auch in anderen Fotografien in jener Zeit, auch der Spiderman, das Pendel, die Polke-Peitsche tauchen an anderer Stelle wieder auf.
Spielerisches und Ironie durchziehen Polkes Werk, dabei nie ohne gängige Vorstellungen von Kunst, aber eben auch der Künstler über das Kreieren zu entlarven. In zahlreichen Zeichnungen, die einen Großteil der ausgestellten Werke ausmachen, werden wir Betrachtenden unmittelbar in eben jenes Spiel hineingezogen, in dem Alltägliches kommentiert wird, Körper überdehnt werden oder zu tanzen beginnen, zuweil kryptische Botschaften gegeben werden, und häufig Klischees überführt werden, dies alles gerne flankiert von Wort- und Sprachwitz. Und Polke nimmt sich von seinem zuweilen bissigen Witz nicht aus, wenn er sich selbst ins Kunstwerk oder in die Geschichte hineinschreibt: So klebt er ein Foto von sich selbst auf eine vermeintliche Picasso-Zeichnung und zeichnet sich als Sternbild “S.POLKE” im Jahr der Mondlandung: Hier hat jemand Sinn für Größe.
Die kleine und sehr feine Ausstellung, die zum größten Teil Werke auf Papier sowie Fotografien Polkes aus einer Privatsammlung zeigt, spannt einen Bogen durch ganz unterschiedliche Serien. So geben manipulierte Fotokopien nicht nur Einblick in Polkes immerwährende Experimentierfreude, seine Einbindung einer Maschine statt eines Stiftes, sondern auch generell sein Infragestellen oder gar seine Neufindung von Autorschaft.
Manipulierte schwarz-weiß Fotografien wiederum eröffnen außerdem Tore in andere Welten. Zugrunde liegen Fotografien, die Polke während seiner Reisen nach Pakistan und Afghanistan schoss. Später hat er sie durch Doppelbelichtungen, unterschiedliche Arten von Einwirkungen mit Chemikalien, durch Kratzen und andere Methoden überarbeitet und ihnen so eine geheimnisvolle, leicht entrückte Atmosphäre verschaffen.
Wie essenziell Manipulation für Polkes Werk ist, eröffnet sich darüber hinaus auch in den bearbeiteten Fotografien zu Athanor, seiner Ausstellung im Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig 1986. An der Biennale bearbeitete er die Wände des Pavillons mit speziellen Substanzen, sodass sie auf das Licht, die Temperatur und Luftfeuchtigkeit reagierten und sich also permanent im Wandel befanden. In seinen Fotos zu jener Ausstellung, die natürlich auch in der Dunkelkammer weiterbearbeitet wurden, lebt die Wandlung fort.
Bei dem Gang durch all diese Transformationen in der Ausstellung wird immer verständlicher, dass eigentlich der ganze Körper sich leicht fühlen muss und, vor allem, dass er fliegen möchte.