Es geht voran.
Ein Gespräch mit Tobia Bezzola über die Herausforderungen der Museen während und nach der Pandemie.
30. September 2020Dr. Tobia Bezzola leitet seit 2018 das Museo d’arte della Svizzera italiana
(MASI) in Lugano und ist Präsident der International Council of Museums
(ICOM) Schweiz.
Riva di Morcote: Herr Bezzola, nachdem nun seit wenigen Wochen die
Museen in der Schweiz wieder geöffnet sind, wie lautet Ihr erstes Fazit –
wird die Möglichkeit, Ausstellungen wieder zu besuchen, angenommen?
Tobia Bezzola: Die Wiedereröffnung hier in Lugano wurde etwas
zögerlich angenommen. In solchen Ausnahmezeiten ist es
nachvollziehbar, dass zunächst Verunsicherung herrscht über die
Möglichkeiten des eigenen Schutzes und dem Schutz anderer, wenn man
die Öffentlichkeit wieder betritt. Aber wir beobachten mit Freude, dass das
Publikum nun stetig wieder kommt.
RdM: Wie schätzen Sie die Situation für Ihre Kolleg*innen in den anderen
Museen der Schweiz ein?
TB: Eine Gesamtübersicht wird erst im Frühjahr 2021 möglich sein, wenn
die meisten Museen ihre Jahresstatistiken 2020 in ihren Jahresberichten
veröffentlicht haben werden. Die Dauer der totalen Schließung war nicht
für alle Häuser gleich lang und das Tempo der Normalisierung der
Besucherfrequenzen ist je nach Besucherstruktur sehr unterschiedlich. Wo
diese durch den internationalen Tourismus geprägt ist, ist der Rückgang
immer noch sehr markant; bei Museen, die zum größten Teil ein lokales
und regionales Publikum haben, erholen sich die Zahlen je nach
Sicherheitsauflagen viel rascher.
RdM: Meinen Sie damit, dass die Sicherheitsauflagen, die in der Schweiz
seit kurzem ja deutlich verschärft wurden, gegebenenfalls die Motivation
beeinträchtigen, ein Museum zu besuchen?
TB: Die Sicherheitsvorkehrungen geben unter anderem vor, wie viele
Personen sich in einem Raum aufhalten dürfen, wie die Wege durch die
Ausstellungsräume und das Gebäude geführt werden müssen. Dies
bedeutet, dass Museen teils viel weniger Besucher*innen in das Haus
lassen dürfen und so natürlich unter anderem weniger Einnahmen durch
Eintrittskarten generieren können. Im Zusammenspiel mit den
gleichbleibenden Kosten für den Museumsbetrieb und für die Ausstellung
kann dies zu eklatanten finanziellen Schwierigkeiten führen.
RdM: Welches sind die größten finanziellen Herausforderungen der
Museen in dieser Zeit?
TB: Sie sind für jedes Museum anders, denn sie hängen hauptsächlich
davon ab, wie sehr die Trägerschaftsform der einzelnen Häuser diese ganz
direkt und unmittelbar von der Liquidität durch die Erträge aus Eintritten,
Shop, Gastronomie, Veranstaltungen etc. abhängig macht.
RdM: Kann es so weit kommen, dass die noch niedrigen
Besucherfrequenzen für Museen existenziell bedrohlich werden?
TB: Ganz grob gesprochen ist der Grad der Privatisierung hier maßgeblich.
Häuser mit einer unselbständigen Trägerschaftsform, welche mithin
vollständig in eine kommunale oder kantonale öffentliche Verwaltung
eingebunden sind und von dieser auch vollständig getragen werden, sind
unmittelbar am wenigsten betroffen. Am anderen Ende des Spektrums
finden sich die vollständig privat finanzierten Museen mit einer
hochgradigen Abhängigkeit von ihren kommerziellen Aktivitäten.
Dazwischen liegt ein für unser Land typisches breites Spektrum von
unterschiedlichsten gemischten, öffentlich-privaten Trägerschaftsformen.
RdM: Haben Sie den Eindruck, dass diese Situation zu grundsätzlichen
Veränderungen in den Museen führen wird, z.B. längere
Ausstellungsdauer, weniger Blockbuster-Ausstellungen mit internationalen
Leihgaben oder zunehmend virtuelle bzw. online Präsentationen
stattfinden?
TB: Wie angetönt, sind die individuellen Unterschiede riesig. Es gibt auch
Museen, welche ein spezialisiertes regionales oder nationales Publikum
geringer Dichte ansprechen, damit bestehen können und die von den
Einschränkungen nicht sehr stark betroffen sind. Aber es gibt auch solche,
deren Geschäftsmodell prinzipiell in Frage gestellt werden könnte, falls
sich die Bestimmungen nicht lockern und das Publikumsverhalten noch
längerfristig durch die Pandemie geprägt wird. Es ist noch zu früh, um
ernsthafte Aussagen über neue Modelle zu tätigen, aber man sieht, dass
viele Museen bereits Verschiedenes ausprobieren, unter anderem online
Ausstellungen und Veranstaltungen jeglicher Art. Dies ist allerdings eine
bereits jahrelang verfolgte Entwicklung, die je nach Ressourcen und
Interesse eines Museums, eine zusätzliche Plattform gab. Während des
Lockdowns hat sich das oft kenntlich gezeigt und dies wird sicherlich
weiterhin eine sehr große Rolle spielen.
RdM: Welche konkreten Veränderungen in der Ausstellungsplanung
haben sich für das MASI ergeben?
TB: Wir mussten bedauerlicher Weise unsere Hauptausstellung in diesem
Jahr absagen und haben dadurch einen großen finanziellen Verlust
erlitten. Ein Großteil der Produktion war schon angelaufen. Im Grunde
sind alle anderen Ausstellungen auf die nächsten zwei Jahre verschoben
worden.
Auf der positiven Seite konnten wir aber ein neues Format von Pop-Up-
Ausstellungen einführen, die kurzfristig und mit wenig technischem
Aufwand realisierbar sind. Den Auftakt bilden die durchaus markanten
Fotografien von Lois Hechenblaikner aus seinem Heimatort Ischgl. Er
dokumentiert seit Jahrzehnten den Tourismus in den Alpen und die
dadurch entstandenen massiven Eingriffe in die Natur und Kultur der
Region. Ischgl war bezeichnender Weise ein Epizentrum des Covid-
Ausbruchs in Europa.
Des Weiteren sind wir dankbar, dass wir soeben eine sehr kurzfristig ins
Leben gerufene Ausstellung des herausragenden Bildhauers Hans
Josephson eröffnen konnten. Es geht also voran.
RdM: Herr Bezzola, vielen Dank.